8china | Carli Beeli | 24. Januar 2016
8china: Herr Müller, Sie waren vor kurzem mit Ihrem Oldtimer in China. Wie kam es dazu?
Ruedi Müller: Ich bin Mitglied der
FIVA Events Commission, der „Oldtimer-UNO“. Wie die Auswahl lief, weiss ich nicht. Aus der Schweiz waren Dominik Fischlin und ich dabei, zusammen mit etwa 30 anderen Teams aus China, Europa und Südamerika. Beide, Dominik und ich, hatten Guian Zong, den Präsidenten des Chinesischen Oldtimer-Dachverbandes
Classic Car China und seine Sekretärin Anfang 2015 in der Schweiz empfangen.
8china: Wie bringt man einen Oldtimer nach China, und darf man dort überhaupt damit herumfahren?
Ruedi Müller: Mit einem Camion im Container nach Basel, auf dem Rhein nach Rotterdam, mit einem grossen Schiff nach Schanghai. Von dort wieder auf dem Camion nach Wenzhou. Ausländer dürfen in China grundsätzlich nicht ohne einen chinesischen Führerschein fahren. Und Oldtimer sind in der chinesischen Strassenverkehrsordnung problematisch. Wir machten den Führerschein in Wenzhou und bekamen eine Spezialbewilligung.
8china: Wie ist die Oldtimer-Rallye in Schanghai abgelaufen, und wer war dort alles am Start?
Ruedi Müller: Die Rallye führte von Wenzhou nach Schanghai. Jeden Morgen fand ein Fahrerbriefing statt und wir erhielten ein Rallyebook. Dann ging es los, jedes Team alleine und jeden Tag so um die 200 km. Wir wurden bestens ausgerüstet; mit GPS-Trackern, um uns zu finden, sollten wir verlorengehen. Aber nicht alle fanden das lustig. Und so fuhr dann eine Gruppe, zu der auch meine Begleiterin und ich gehörten, hinter einem Guide von Ort zu Ort.
8china: Denken Sie, dass Chinesen alte europäische Gegenstände bewundern?
Ruedi Müller: Ich kann diese Frage ja lediglich im Bezug auf Oldtimer beantworten. Das alte Blech bewunderten sie sehr. Ob aber der Markt „explodiert“, wenn China sich für Oldtimer öffnet, wurde kontrovers diskutiert. Die einen meinten, dann ginge die Post ab. Andere waren der Ansicht, Chinesen liebten eher das Moderne; viel werde sich an den Oldtimerpreisen nicht ändern, sollten sie in China dereinst erlaubt sein. Der Markt ist natürlich schon riesig, und die Nachfrage diktiert ja bekanntlich den Preis. Wir hatten ja auch Workshops in Wenzhou, einer mit den zuständigen Vertretern der Chinesischen Regierung.

„Ab dem Moment, als die Oldtimer ausgeladen wurden, waren wir meistens umringt von vielen Chinesen. Alle fotografierten und viele fragten uns, ob sie ein Bild mit uns schiessen könnten.“ ‒ Ruedi Müller
8china: Kurz nach Ihrer Rückkehr sind Sie schon wieder nach Schanghai gereist. Warum?
Ruedi Müller: Ich verbrachte ja schon den ganzen September ‒ vor und nach den Workshops und der Rallye ‒ in China. Ich fühlte mich dort wie zu Hause. Wahrscheinlich war ich in einem früheren Leben mal Chinese. An meinen Augen sieht man mir das noch an. Ich lernte viele, viele Chinesen kennen. Mit den meisten bin ich auf WeChat befreundet. Ich hatte viel Spass, und da ich es mir im November einrichten konnte, flog ich nochmals hin. Im September hielt ich mich in Schanghai und Umgebung auf und reiste zum Start der Rallye nach Wenzhou in den Süden. Im November zog es mich in Richtung Norden: Flug von Schanghai nach Peking; mit dem Zug nach Xi’an, Terracotta-Armee; ab Chongqing auf dem Jangtse bis Yichang (Drei-Schluchten-Talsperre). Von dort flog ich zurück nach Schanghai, und nach einer Woche, in der ich noch viele Freunde traf, nach Hause in die Schweiz.
8china: Sie waren ausserhalb von Schanghai in rein chinesischen Reisegruppen unterwegs. Wie hat sich das angefühlt, und hat dies für Sie zu Problemen geführt?
Ruedi Müller: Ja, per Zufall kam ich mal in so eine Gruppe. Niemand konnte Englisch, ich nicht Chinesisch. Aber, ich erfuhr wieder mal, dass es andere Mittel der Kommunikation gibt. Das erste Mal wusste ich erst, als wir ankamen, was ich gebucht hatte. Ich wählte den Trip nach Zhouzhuang aus einem chinesischen Prospekt, aufgrund des Fotos. Aber ich ging nicht verloren. Die Reiseleiterin und Mitglieder der Gruppe kümmerten sich rührend um mich. Ich fühlte mich so wohl, dass ich noch fünf solche Touren buchte. In einem Hotel fragte die Rezeptionistin mich: „Do you speak Chinese?“, „No“, antwortete ich, „but I like the sound of your language very much.“ Ich las dann, als ich zurück im Hotel war, immer die Details nach über die Orte, in denen ich gewesen war. Vieles aus der bemerkenswerten Chinesischen Geschichte kannte ich ja auch bereits aus meiner intensiven Beschäftigung mit den Strategemen.

„Hulu, der 3jährige Chinese, mit dem ich mich auf einem meiner Trips mit einer Chinesischen Reisegruppe anfreundete. Er war mit seiner Grossmutter unterwegs. Später lernte ich dann auch die ganze Familie kennen.“ ‒ Ruedi Müller
8china: Welche drei Tipps würden Sie jemandem geben, der zum ersten Mal nach China reist?
Ruedi Müller: Ich reiste ja alleine, war aber nie einsam. Beide Male buchte ich lediglich die ersten zwei Nächte in Schanghai… und liess mich dann treiben. Meine drei Tipps:
- Sich vorher gut über Land und Leute informieren, um z.B. zu wissen, dass man in China aus Respekt vor dem Gegenüber immer mit beiden Händen etwas gibt und nimmt.
- Mit Schanghai anfangen. Es ist die „europäischste“ Stadt in China. Dort U-Bahn fahren.
- Möglichst viel Kontakt zu den Einheimischen suchen. Das funktioniert selbst dann, wenn das Gegenüber kein Englisch kann. WeChat übersetzt von Chinesisch nach Englisch und umgekehrt! Ich führte einige solcher Gespräche face-to-face. Ich mache das auch jetzt noch, nach meiner Rückkehr und auf Distanz.
8china: Seit einigen Jahren beschäftigen Sie sich mit chinesischen Strategemen. Was interessiert Sie daran so sehr?
Ruedi Müller: Das war so eine Art Liebe auf den ersten Blick. Ich nahm deren Kosmos sofort in mir auf, las Dutzende Bücher auf Deutsch und auf Englisch und erstellte vor vielen Jahren die Website Strategeme.com. Die Strategeme veränderten mein Leben zum Positiven. Und zwar auf zwei Ebenen:
- Behaviour/Attitude (Einstellung): eine Situation ist einfach so wie sie ist. Jammern nützt nichts.
- Skills (Fähigkeiten): Kennt man sich mit den Strategemen aus, erfährt man die Welt mit anderen Augen, sieht quasi um die Ecke. Diesen geschärften Blick nennt Prof. Dr. Dr. Harald von Senger, der die Strategeme in den Westen brachte, defensive Anwendung. Offensiv heisst, die Strategeme in schwierigen Situationen selbst anzuwenden. Diese Strategeme sind ja Metaphern, die zu neuen Gedankengängen anregen.
8china: Welches chinesische Strategem kann man am besten im Alltag anwenden?
Ruedi Müller: Nr 12: „Mit leichter Hand das Schaf wegführen.“
Das liegt schon in meiner Natur. Man sollte nicht so stur einem Ziel nachrennen und alles links und rechts auf dem Weg dahin ausblenden. Man verpasst sonst sehr viel.
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